Sonne mit Zähnen

Der Himmel ist blau. Eine klare Botschaft, alle Wolken sind sorgfältig aussortiert, aufgesammelt worden, weggefegt. Wohin bloß immer?

Wir sehen nur blau, wenn wir Sonntagmorgens die Vorhänge aufziehen, wenn wir die Federbetten zum Lüften in den Hof hängen, wenn wir dann die Erde der Blumentöpfe befühlen, ob sie sich nach Wasser sehnen.

Die Oma, langjährige Athener Wetterexpertin betritt den Hof: Sie zieht das Fliegengitter hinter sich zu, schlüpft von gefütterten Hauspantoffeln in ihre Hofpantoffeln. Gibt einen flüchtigen Blick frei auf ihre Feinstrümpfe, die sich über die Zehen spannen. Dann tritt sie in die frühe Sonntagssonne, blickt nach oben und sagt: „Sonne mit Zähnen“.

So werden die Tage im Winter genannt, die wie Sommer aussehen, aber heimlich noch Winter sind, sobald man an das Haus verlässt.

SonnenzaehneAn einem Tag mit Sonne mit Zähnen gehe ich gern am Athener Strand spazieren. Das Licht ist silberner als in den Sommertagen, und noch liegen die Cafés und Bars in tiefem Winterschlaf.

KaktusbarNur der „Winterschwimmclub“ hat geöffnet, Menschen mit ledriger Sonnenhaut sitzen auf den weißen Plastikstühlen. Über den leeren Strand hallt das Pik Pok der Raketa* spieler, die ihren Club einen Ecke weiter haben.

WinterschwimmerWinterschwimmclub

Ein einfacher Strandkiosk verkauft Toast mit Schinken und Käse und Kaffee, auf den Pfosten für die Sonnenschirme sitzen Tauben und warten auf Brotkrümel, während die Wintersonne mit ihren Zähnen ihren flachen Lauf beendet und bald im Wasser ertrinkt.

WintersonnenBucht

*Raketa wird das Ballspiel mit Holzschlägern und einem Tennisball genannt, das nicht einmal im Winter an einem griechischen Strand fehlen darf.

Wer Orchideen trinkt

„Saleeeeeepi“ klingt das Rufen über die gefüllten Straßen Athens, durch die sich Menschen in dicken Mänteln schieben.

„Saleeeeeepi“, singt eine kräftige Stimme, und vermischt sich mit den Stimmen, die in Telefone gerufen werden, vermischt sich mit dem Klang eines Akkordeons und dem Gelpauder der Blumenverkäuferinnen.

„Saleeeeeepi“ schallt über die abgewetzten Pflastersteine, über die Winterschuhe stapfen, Gehstöcke klacken und auf denen Blechdosen der Straßenmusiker die Münzen auffangen.

„Saleeeeeepi“ lässt die kalten Ohren spitzen, die unter Stirnbändern und Mützen versteckt liegen.

SalepiVerkauf„Saleeeeeepi“ lässt mich dem Klang folgen, hin zu einem Wagen, auf dem goldene Samoware über heisser Kohle stehen und Bilder von Orchideen den Wagen schmücken.

 

„Salepi?“ fragt mich der Verkäufer mit rauer Stimme. Er füllt aus einer der Kannen ein dickflüssiges Getränk in einen Styroporbecher, bestreut es nach Wunsch mit Zimt oder Ingwerpulver und beginnt zu erzählen.

SalepiZimtSalepi werde aus der Orchideenwurzel hergestellt, ein leckeres Überbleibsel aus dem Ottomanischen Reich. Verwendet werde dafür die Knolle der rosa Schmetterlingsorchidee. Und wie man im Volksmund sage, zeuge ein Mann Söhne, wenn er die Blumenzwiebel esse.

SalepiZiege

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Der botanische Name „Orchis“ leitet sich vom griechischen Wort όρχις für Hoden ab, da der Philosoph Theophrastos wegen den paarigen Wurzelknollen die Ähnlichkeit zu männlichen Genitalien sah. Auch der deutsche Name „Knabenkraut“ ist wahrscheinlich hiervon abgeleitet.

In der griechischen Mythologie wurde Orchis, der Sohn eines Satyrs und einer Nymphe, bei einer rauschhaften Feier bei Dionysos getötet, nachdem er im Rausch einen Hohepriester angriff. Daraufhin wurde er in eine Pflanze verwandelt, die nun seinen Namen trägt: „Orchidee“.

Gewoge am Winterstrand

An einem schönen Sonntag mitten im Winter tummelt sich Athener an ihrem Strand. Unerschrockene haben sich schon ins kalte Meer geworfen, andere halten noch vorsichtig die Zehen hinein.

winterdamenbad

Streunende Hunde liegen zusammengerollt im feuchtwarmen Sand, über dem andere Menschen ihre Picknick Decken ausrollen, Kinder graben darum herum ein Tunnelsystem und  Palmen werfen ihre langen Schatten darüber.

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winterdusche

Entlang der Mauer, die den Strand von der Stadt abgrenzt, haben Menschen ohne Obdach kleine Lager aufgebaut, vor denen sie  in der Sonne sitzen, die Augen andächtig geschlossen, die Sonne empfangend.

winterhund

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Daneben trainieren die sportlich Motivierten ihre Muskeln an öffentlichen Fitnessgeräten, den Blick auf das Funkeln des Horizonts gerichtet.

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Oberhalb des Strands werden Kinder in ihren Wägen geschoben, Tauben picken die herabfallenden Krümel von Keksen auf, die Kinder werfen ihnen freudig noch mehr in die Schnäbel, Väter schimpfen darüber.

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Omas und Opas sitzen in wattierten Winterjacken und schauen den Badenden im Meer zu. Sie alle genießen es, den Blick endlich frei schweifen zu lassen, fast ohne Beton.

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Die Tram rattert vorbei, in ihrer Haltestelle spielt ein Mann auf einer Geige und am Strand zupft ein Einsamer an seiner Gitarre.

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Der Winterstrand gehört den Bewohnern der Stadt, für manche ist er das ganze Zuhause, er ist wild und unaufgeräumt, es schallt keine Musik aus Strandbars, es gibt keine bunten Plastikliegen, kein Geruch von Sonnenmilch und keine Touristen.

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Tipps für eine schöne Wanderung entlang der athener Küste

Möchte sich nun der eine oder die andere von euch gern zum athener Strand verlaufen, könnt ihr das gern auf eine sehr schöne Weise tun:

Vom Kulturzentrum Stavros Niarchos führt eine Brücke bis zum Meer. Wenn ihr am Ende der Brücke nach links geht, entlang der „Schiffe an Land“ spaziert, gelangt ihr zur Marine. Hier könnt ihr stolze Yachten bestaunen und leckeres Eis essen. Wenn ihr dann bis ans Ende der Marine weitergeht, gibt es links einen kleinen Weg durch ein eisernes Tor. Folgt ihr diesem Weg, tut sich vor euch der Stadtstrand auf. Hier könnt ihr nun mit den Füßen im Sand spazieren, in die Wellen tauchen oder die Weite genießen. Am Ende des Strands liegt die bekannte Taverne „Edem“, deren Tische in den Sand gestellt sind und es leckere Kalamari gibt. Die gleichnamige Haltestelle der Tram liegt gleich dahinter, von dort aus kommt ihr wieder in die Stadt zurück.

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