Himmelstoß

Ein Teil dieses Mosaiks machen meine Wurzeln aus. Denn woher ich komme, erklärt meinen Blick auf die Fremde. Von der Ostalb nach Attika – aus einem Meteoritenkrater in eine Metropole.

Dorf

Einen Sprung zurück in meine Heimat musste ich ganz plötzlich unternehmen, weil mein Vater schwer erkrankt war. Weil ich lange fern war, kann ich auf einmal die Schönheit meiner Heimat mit den Augen einer Entdeckerin sehen – und so folgt ein Ausflug aus Athen zu dem Ort aus dem ich stamme.

Himmelstoss

Meine Heimat ist ein Dorf in einem Meteoritenkrater, in der Form einer Zitronenpresse: Hügel ringsum und in der Mitte der Zentralhügel als Erhebung. Wacholderbüsche, Heide, Schlehenhecken, Apfelbäume, grasende Tiere. Ständiger Fleiß der Menschen, rasenmähend, heckenschneidend, straßekehrend.

Kühe

Ziegen

Auf dem Hügel, den wir „Himmelstoß“ nennen, haben wir als Kinder stundenlang in den Wiesen selbstvergessen gespielt. Nie haben wir das Schild am Felsen gelesen: „Arbeit härtet, Entsagung macht frei, Genusssucht und Trägheit bringt Sklaverei“.

Schild

Wir haben Sonntags auf Rollschuhen die Zeitung ausgetragen, haben Abends mit Blechkannen Milch von den Bauern geholt und auf den Dorffesten Volkstänze getanzt, in den Sandgruben nach Versteinerungen gesucht, und haben auf den Mauern des Kriegerdenkmal balanciert und später dort heimlich geraucht.

 

Auf den Dorffesten wollten wir dann Hiphop tanzen, die Bauern verkauften die Milch bald in Glasflaschen, die Rollschuhe wurden zu Inlineskates und haben trotzdem bald nicht mehr gepasst.

Zaun

Das Kriegerdenkmal und das Schild am Felsen wurde in Frage gestellt, der Krater um unser Dorf wollte überwunden werden. Und so sind wir alle ausgeschwirrt – und ich irgendwann in Athen gelandet.

Gartenschenke

Nach über zehn Jahren in fernen Ländern bleibt der Hügel mittig der Zitronenpresse mit seinem „Himmelstoß“ dort Ort, an dem ich die Grenzenlosigkeit der Fantasie erfuhr, wenn wir uns im Spiel mit Flügeln erhoben. Der Ort an dem meine Sehnsucht nach einer Weite geboren wurde und den ich mit Heimweh vermisse werde, wenn ich bald wieder in Athen bin.

kraterweg

Vor ungefähr 15 Millionen Jahren schlug hier ein Meteorit ein und ließ einen Kraterkessel sowie den Zentralhügel entstehen. Ein Kraterrundweg führt rund um das Steinheimer Becken auf der Schwäbischen Alb, und gibt mit einer Wanderstrecke von rund 20 Km die Aussicht frei auf die im Krater liegenden Dörfer Steinheim am Albuch und Sontheim im Stubental. 

9 Kommentare zu „Himmelstoß

  1. Hallo Julia,
    ein sehr schöner Erinnerungsbericht….und mir ergeht es da ähnlich, schon lange entfernt der Heimat muss ich Elternbedingt ab und zu zurück und geniesse dann das Wandeln und Erinnern an vergangene Zeiten , wie ein Ausflug in die eigene Geschichte …und bin dann doch froh wieder zurück in meine neue Heimat fahren zu können.
    Lieber Gruss, Jürgen

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  2. Ich bin dir gerne in deine Hemat gefolgt, so, wie du deine Kindheit beschreibst, sollte Kindheit aus meiner Sicht sein, Kinder brauchen freie Räume, die sie gerade in den Städten immer weniger haben.
    Ja, sie ist dann eben doch auch schnell vorbe, von den Rollschuhen so den Inlinern oderplötzlich wird auch alles andere zu klein, zu eng. Der junge Mensch muss wandern und den eigenen Ort finden! Du hast dies getan und es klingt, aus der Ferne, betrachtet und gelesen sehr rund.
    herzliche Grüße, Ulli

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  3. Spannend!
    Der Fleiß der Menschen…ich bin mittlerweile garnicht so sicher, ob der schlecht ist. Durch Fleiß habe ich während meines Berufausübens trotz Müdigkeit immer meine „Hobby versorgt“. Meine Frau ist da noch extremer: Sie ist ständig tätig: Verändert immer wieder die Wohnung, besorgt vieles, geht ständig zu Ärzten, um ihre Gesundheit zu verbessern usw.

    Die Kehrseite ist natürlich das Nicht-Schleifen lassen können. Die fehlende Meditation. Die seltene Ruhe.

    Aber wer viel schafft, schafft auch viel 🙂

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    1. Am Anfang war die Rebellion gegen die wöchentliche Kehrwoche und alles weitere an schwäbischer Pflicht. Aber nach vielen Reisen stelle ich doch fest, dass auch andere Völker ihre Häuser und Straßen putzen ; ) und auch die Griechen unterscheiden sich da nicht so groß. Vorurteile von Faulheit und Fleiß finde ich auf beiden Seiten. Ich werde in Deutschland schon als griechische Lebensgenießerin genannt und in Athen mit einem Augenzwinkern schwäbische Hausfrau.

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    1. Naja wenn ich hier bin, dann fühlt sich das an als wäre das alles doch schon sooo lang her, weil dazwischen so viel passiert ist. Aber keine Sorge Gerda, ich fühl mich quicklebendig, mehr noch in Athen.

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